22.1 Gesundheitsrisiken von Nanopartikeln
Die mögliche Gefahr, die von Nanopartikeln ausgeht, liegt in der Natur der Sache. Denn durch ihre geringe Größe passieren diese kleinsten Partikel auch Zellmembranen. Partikel kleiner als 1 µm erreichen beispielsweise nach Einatmung die Lungenbläschen. Die genaue Grenze, ab welcher Nanopartikel in der Lage sind, die Zellschranke zu überwinden und somit in den Blutstrom zu gelangen, konnte noch nicht eindeutig festgelegt werden, liegt aber nachweislich oberhalb von 100 nm. (582)
Für die Wirkung von Partikeln kleiner als 30 nm existieren unseres Wissens (noch) keine Daten. Dies ist auch dem Umstand geschuldet, dass eine analytische Erfassung von Partikeln kleiner 30 nm bislang nur schwer bis kaum möglich ist.
Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass auch geringste Mengen an Nanopartikeln schon eine enorm große Anzahl an Teilchen mit einer noch größeren Oberfläche bedeuten. In nur einem Milligramm befinden sich demnach viele Milliarden an Nanopartikel, welche im Vergleich zu einer gleichen Masse größerer Teilchen eine enorme Oberfläche besitzen. Somit sind diese kleineren Teilchen bioaktiver als eine vergleichbare Masse größerer Teilchen, was einerseits erwünscht sein mag, aber im Falle negativer Effekte wie Zellschädigungen und oxidativem Stress zu einer höheren Toxizität führen kann. (557,568,580)
Neben der enorm vergrößerten Oberfläche spielt aber auch die geringe Größe der Partikel an sich eine Rolle. Nanopartikel scheinen sich aufgrund veränderter chemisch-physikalischer Eigenschaften grundsätzlich anders zu verhalten als vergleichbare größere Teilchen. (557,583) Hinzu kommen die vielfältigen Bedingungen im menschlichen Organismus wie z. B. der wechselnde pH-Wert bei der Passage des Verdauungstraktes. Hierdurch unterliegen die Nanopartikel vielfachen Veränderungen: sie können sich teilweise oder ganz auflösen, Aggregate und Konglomerate formen oder sich mit einer Proteincorona umgeben. (584) All diese Veränderungen sind schwer vorhersagbar und stellen die Forschung vor methodische Herausforderungen. Eine Vorhersage über das tatsächliche Verhalten im menschlichen Organismus ist hierdurch nahezu unmöglich.
Eine weitere mögliche Gefahr stellen nicht die Nanopartikel selbst dar, sondern die unbeabsichtigte Einschleusung von an diese Partikel gebundenen Stoffen, wie z. B. Metallionen. Auf diese Weise funktionieren Nanopartikel nach dem Prinzip des trojanischen Pferdes, denn die Zelle erkennt Stoffe an ihren Oberflächenmarkern. (585) So können Substanzen, die sonst nur kontrolliert über Carriersysteme in die Zelle aufgenommen werden, maskiert eingeschleust werden. (580,585) Auch dieser Effekt wird wiederum genutzt, um Substanzen gezielt in die Zelle einzuschleusen. Welche Folgen jedoch die unkontrollierte Bindung von Substanzen an Nanopartikel hat, bleibt bislang unzureichend geklärt.
Während die technischen Eigenschaften von Nanopartikeln relativ gut erforscht sind, ist die Studienlage zu den Risiken eher dürftig. Der ANSES (Französische Agentur für Lebensmittelsicherheit, Umwelt- und Arbeitsschutz) zufolge befassen sich nur 8 % der wissenschaftlichen Studien zu Nanopartikeln mit deren Risiken. (558) Es gibt zwar eine Reihe von Studien zu den Auswirkungen nach Inhalation; die Folgen der oralen Aufnahme sind jedoch noch nicht gut belegt bzw. sind die existierenden Studien schwer vergleichbar und weisen häufig methodische Mängel auf. Mehr dazu im Abschnitt unten.
Gegenstand der Forschung in Bezug auf die Risiken von Nanopartikeln sind vor allem die folgenden Themen:
- Übertrittsmechanismen über die Haut, Aufnahme über den Darm, die Alveolen, Zellbarrieren, Aufnahme ins Blut
- Entzündungen des Magen-Darm-Traktes und Störung des mikrobiellen Bioms
- die Persistenz von Nanopartikeln im Organismus
- Genotoxische und karzinogene Effekte verbunden mit oxidativem Stress
- Immunsuppressive Effekte
- Hypersensitivität und allergische Reaktionen
- Effekte auf das zentrale Nervensystem