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26.1 Begasung von Schiffscontainern

26.1.1 Ethylenoxid und 2-Chlorethanol

Das als Pflanzenschutz- und Begasungsmittel sowie zur medizinischen Desinfektion eingesetzte Ethylenoxid (ETO) steht seit Sommer 2020 in besonderer Kritik. Zum einen wurde in der Öffentlichkeit bekannt, dass Rückstände auch in Teststäbchen und Masken enthalten sein können, zum anderen häuften sich die Meldungen über kontaminierte Lebensmittel seitdem deutlich. Dies ist vor allem auf eine Neubewertung des BfR und durch strengere Kontrollen der europäischen Lebensmittelbehörden zurückzuführen.

Ethylenoxid ist extrem wirksam zur Bekämpfung von Mikroorganismen – jedoch auch sehr toxisch für den Menschen. Ethylenoxid steht im Verdacht, auch bei geringen Konzentrationen in Lebensmitteln erbgutverändernd und krebserregend zu sein und ist in der Lebensmittelproduktion in Europa verboten. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) stuft Ethylenoxid als Karzinogen, sprich als krebserregenden Stoff ein. (779) Laut Institut für Arbeitsschutz (IFA) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung hat die akute Exposition gegenüber Ethylenoxid Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem wie beispielsweise Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, Bewusstlosigkeit, Atembeschwerden oder Herzrhythmusstörungen. (780) Dies bezieht sich eher auf den Arbeitsschutz im Umgang mit Ethylenoxid als auf den Verzehr kontaminierter Lebensmittel, unterstreicht jedoch die Toxizität der Substanz.

Seit Juni 2020 wurden vermehrte Vorkommen an Ethylenoxid zunächst in Sesamsamen aus Indien gemeldet. Hier wird Ethylenoxid vor allem eingesetzt, um mikrobielle Verunreinigungen mit Salmonellen zu beseitigen. Seitdem wurden auch Belastungen in anderen Lebensmitteln und Nahrungsergänzungen hauptsächlich aus Indien, aber auch in wesentlich geringerem Umfang aus den USA, Kanada, Korea und China gefunden. Mittlerweile gingen beim European Rapid Alert System for Food and Feed (RASFF) nahezu 800 Meldungen über kontaminierte Produkte ein (Stand 02/2022). (781) Insbesondere die Zusatzstoffe Johannisbrotkernmehl (E410) oder Guarkernmehl (E412) sind neben Sesamsamen betroffen; zudem Gewürze, Tees und Pflanzenpulver, aber auch zusammengesetzte Nahrungsmittel wie Joghurts, Speiseeis, Marmeladen und Milchgetränke. Für Nahrungsergänzungsmittel spielen vor allem Belastungen bei bestimmten pflanzlichen Rohstoffen (z. B. Curryblättern) und Extrakten (z. B. Moringa, Curcuma) eine Rolle. Ob die Lebensmittel selbst mit Ethylenoxid behandelt oder erst durch den Transport kontaminiert wurden, ist meist unklar. Die Tatsache, dass auch bio-zertifizierte Lebensmittel und nicht-pflanzliche Lebensmittel betroffen sind, lässt vermuten, dass nicht nur die Anwendung als Pflanzenschutzmittel, sondern auch die anhaltende Nutzung von Ethylenoxid als Begasungsmittel für den Schiffsversand eine wichtige Rolle spielt. Hier dient es dem Schutz von Lebensmitteln vor einem Befall mit Schimmelpilzen und Bakterien. Allerdings wurde diese Vermutung durch unsere Nachfragen bei namhaften Logistikunternehmen verneint.

Eine weitere Kontaminationsmöglichkeit für Nahrungsergänzungmittel besteht während der Herstellung oder nachträglichen Begasung des Kapsel- bzw. Überzugsmaterials. Hier kam es nicht selten vor, dass unerlaubte Mengen an Ethylenoxid im Kapselmaterial zu finden waren.

Weil Ethylenoxid eine sehr reaktive Verbindung ist, liegt es in behandelten oder verarbeiteten Lebensmitteln nur noch in reduzierter Menge als Ethylenoxid, aber hauptsächlich in Form seines Hauptabbauproduktes 2-Chlorethanol, vor. Aus Untersuchungen am Markt geht hervor, dass es jedoch weitere Eintragspfade für 2-Chlorethanol zu berücksichtigen gibt, da die Substanz auch in Produkten, die nicht mit Ethylenoxid begast wurden, nachgewiesen wurde. In diesem Fall ist die Bildung von 2-Chlorethanol aus Substanzen, die im Reinigungsmittel enthalten waren, zu erklären: wenn verschiedene ethoxylat- und glycolhaltige Reinigungsmittel sowie aktives Chlor, wie Hypochlorit aus der Wasserdesinfektion, beim Erhitzen miteinander in Kontakt kommen, ist demnach eine Bildung von 2-Chlorethanol denkbar. (782,783)

2-Chlorethanol wurde bislang gleichwertig zu Ethylenoxid eingestuft, da eine krebserregende Wirkung nicht sicher ausgeschlossen werden konnte. (784) Neue Untersuchungen zeigen jedoch, dass 2-Chlorethanol nicht genotoxisch wirkt und damit deutlich von Ethylenoxid unterschieden werden muss. Weitere Studien zu möglichen, nicht-genotoxischen Wirkungen von 2-Chlorethanol stehen jedoch derzeit noch aus (Stand 2022). (785,786)

Auch als Pflanzenschutzmittel wird Ethylenoxid tatsächlich in vielen Teilen der Welt noch angewandt. In Deutschland ist die Anwendung zwar seit 1981 und in der EU seit 1991 in der Lebensmittelherstellung verboten (Umsetzung der Richtlinie 79/117/EWG), in anderen Ländern – darunter nicht nur Indien, sondern auch die Türkei, die USA und Kanada – gibt es diesbezüglich jedoch kein Verbot. Wenn Ethylenoxid aktiv zur Pflanzenbehandlung angewendet wurde, darf das Lebensmittel dennoch eingeführt werden, sofern die Pestizidrückstände analytisch nicht nachweisbar sind. Das heißt, dass sie unterhalb bestimmter Grenzen der Nachweisbarkeit liegen müssen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat zudem eine Aufnahmemenge geringer Besorgnis für Ethylenoxid mit 0,037 Mikrogramm je Kilogramm Körpergewicht und Tag festgelegt. (784) Sie gibt die Tagesmenge an, bei der es unwahrscheinlich ist, dass bei lebenslanger Exposition das zusätzliche Risiko, an Krebs zu erkranken, 1:100.000 übersteigt. (488) Gleichzeitig wird jedoch betont, dass die “Datenlage zur Wirkung des Stoffes widersprüchlich und teilweise unvollständig“ sei und dass es für erbgutverändernde und krebserzeugende Substanzen grundsätzlich keinen Richtwert ohne Gesundheitsrisiko gäbe. Das Minimierungsgebot gelte daher trotz des angegebenen Wertes.

Allerdings wird für die Sterilisation von medizinischen Produkten weiterhin Ethylenoxid eingesetzt. Dies liegt vor allem daran, dass dieses Verfahren mit vielen Materialien kompatibel ist. Die Internationale Organisation für Normung – kurz ISO – hat hierfür Grenzwerte bestimmt , die in der Norm AAMI 10993-7 spezifiziert werden. Diese Grenzwerte variieren je nach beabsichtigter Dauer der Verwendung eines Produkts. Es gibt hierbei drei Kategorien: Eingeschränkte Verwendung, länger andauernde Verwendung und permanente Verwendung. Des Weiteren gibt es einige spezielle Produktkategorien mit individuellen Grenzwerten. Der Grenzwert für ein Produkt, das nicht länger als 24 Stunden genutzt wird, beträgt beispielsweise 4 mg. (787)

Und auch die EU hat mit dem Maximum Residue Level (MRL) Höchstwerte für Rückstände von Ethylenoxid in verschiedenen Produktgruppen festgelegt. Für Zitrusfrüchte, Kern- und Steinobst sowie Beeren und Wurzel-, Knollen-, Kohl-, Zwiebel als auch Blattgemüse sowie weitere Gemüsesorten sind dies 0,02 mg pro Kilogramm, ebenso wie für Hülsenfrüchte und frische Kräuter. Für Nüsse, Ölsaaten, Ölfrüchte, Getreide, Reis und Honig sind 0,05 mg pro Kilogramm festgelegt worden. Eine Höchstgrenze von 0,01 mg pro Kilogramm gilt für Tee, Kaffee sowie Gewürze, Samen und Wurzeln. (788)

Für eine Übersicht zu Bestrahlung und Begasung während Transport und Lagerung von Nahrungs(ergänzungs)mitteln siehe Kapitel 26.

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