19.1 Die häufigsten Emulgatoren
19.1.1 Polysorbate
Polysorbat 80 wird in vielen Medikamenten und auch Nahrungsergänzungsmitteln als Emulgator, Wirkstoffverstärker oder Trägerstoff von Aromen und öligen Substanzen eingesetzt. Seine Unbedenklichkeit konnte bis heute nicht vollumfänglich untersucht werden, was vor allem daran liegt, dass Polysorbat 80 ein komplexes Gemisch aus verschiedensten Bestandteilen ist. (485)
Polysorbate sind Lebensmittelzusatzstoffe synthetischer Herkunft, welche in die Klassen der Emulgatoren, Stabilisatoren und Netzmittel fallen. Polysorbat 20, 40, 60, 65 und 80 sind für den Einsatz in der Lebensmittelindustrie zugelassen, wobei sich die verschiedenen Polysorbate in den Fettsäuren und dem Veresterungsgrad unterscheiden, was anhand der zweistelligen Zahl ablesbar ist. Das vermehrt verwendete Polysorbat 80 ist zweifelsohne das am besten untersuchte Polysorbat, dennoch ist es bis heute schwierig, seine Unbedenklichkeit, beziehungsweise eventuell schädliche Wirkungen vollumfänglich zu untersuchen.
Neben Polysorbat 80, kommen auch Polysorbat 65, 60, 40 und 20 bei der Erzeugung von Lebensmitteln, aber auch Arzneimittelformulierungen und Nahrungsergänzungsmitteln zum Einsatz. Polysorbat 20 – auch als Polyoxyethylen(20)-Sorbitan-Monolaurat, Tween 20 beziehungsweise E432 bekannt – findet nicht nur als Emulgator, Schaumstabilisator und Netzmittel Verwendung, sondern dient bei der Papierbeschichtung auch als Gleitmittel. Im Rahmen der Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln finden insbesondere Polysorbat 20 und 40 auch im Zuge der Mizellentechnologie Anwendung, wobei die Verwendung der Emulgatoren grundsätzlich keine Notwendigkeit darstellt. (486)
Bei der Herstellung von Polysorbaten kommt es zum Einsatz von Laurinsäure, Palmitinsäure, Stearinsäure sowie Oleinsäure, wobei die unterschiedlichen Fettsäuren üblicherweise pflanzlicher Herkunft sind. Trotzdem besteht auch die Möglichkeit, dass es zum Einsatz tierischer Fettsäuren kommt. Die Herstellung der Polysorbate erfolgt in einem mehrstufigen chemischen Prozess, bei dem Sorbit und die jeweilige Fettsäure eingesetzt werden. Hierbei kann es zur Umsetzung von Ethylenoxid kommen, was als erbgutverändernd und krebserregend eingestuft wird (Kapitel 26.1.1). Auch wenn Polysorbate grundsätzlich als gesundheitlich unbedenklich gelten, wurde ein ADI-Wert von 25 mg/kg Körpergewicht für die kumulierte Aufnahme festgesetzt. Gemäß Schätzungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA ist es durchaus möglich, dass durch den Verzehr bestimmter verarbeiteter Lebensmittel, Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel der festgelegte ADI-Wert von 25 mg/kg Körpergewicht überschritten werden kann. Als problematisch wird hierbei angesehen, dass der Polysorbatgehalt vieler Nahrungsergänzungsmittel aufgrund fehlender Angaben nicht abgeschätzt werden konnte. Vor allem Personengruppen, die vorwiegend verarbeitete Lebensmittel zu sich nehmen und regelmäßig Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel zuführen, überschreiten die festgelegte empfohlene maximale Aufnahme. Auch Kleinkinder liegen mit 24,5 mg/kg Körpergewicht nur unmittelbar unter dem festgesetzten Grenzwert. Liegen für den Einsatz von Polysorbaten in der Lebensmittelindustrie Beschränkungen auf bestimmte Produkte, aber auch Höchstmengengrenzen vor, richtet sich die verwendete Menge bei Supplementen und Medikamenten nach dem gewünschten Ergebnis. (487,488)
Die Darmschleimhaut stellt eine wichtige Schutzschicht vor pathogenen und toxischen Substanzen dar. Die Schleimhaut besteht zu einem großen Teil aus Phospholipiden, mit denen Polysorbat 80 aufgrund seiner Eigenschaften besonders stark interagiert. Durch die Wechselwirkungen mit Polysorbat 80 werden die Schutzeigenschaften gestört und toxische Substanzen oder pathogene Bakterien können leichter eindringen. (29,478)
Bereits in den 1980er Jahren konnte in Untersuchungen nachgewiesen werden, dass Polysorbat 80 als grenzflächenaktiver Stoff die Darmpermeabilität (= Durchlässigkeit der Darmschleimhaut) beeinflusst und damit möglicherweise die Resorption toxischer Substanzen oder Pathogene erhöht. Die Ergebnisse der Studie ergaben, dass Polysorbat 80 einige Enzyme der Darmschleimhaut beeinträchtigt und diese dadurch schädigt. Es konnte eine deutlich erhöhte Enzymaktivität von Proteinen, die beim Zelltod aktiv sind, nachgewiesen werden. Ein weiteres Enzym, welches zellschützend wirkt, wurde in seiner Aktivität hingegen deutlich gehemmt. (29,30,478,479)
Eine 2015 durchgeführte Tierstudie bestätigte diese Ergebnisse. Nach der Gabe von Polysorbat 80 konnte ebenfalls eine veränderte Darmschleimhaut und erhöhte Permeabilität festgestellt werden. Zusätzlich wurden eine beeinträchtigte Glucosetoleranz sowie Hyperinsulinämie, Symptome des metabolischen Syndroms, Leberfunktionsstörungen und vergrößerte Mitochondrien nachgewiesen. Die veränderte Zusammensetzung des Darmmikrobioms und die geschädigte Funktionstüchtigkeit der Darmschleimhaut wurden bereits mehrfach als Risikofaktor für die Entwicklung von Adipositas, Stoffwechselstörungen, einer Glucoseintoleranz sowie Insulinresistenz, dem metabolischen Syndrom und Typ-2-Diabetes bestätigt. In der durchgeführten vierwöchigen Studie wurde Mäusen eine dem ADI-Wert für Polysorbat 80 entsprechende Menge der Substanz gefüttert. Es zeigte sich, dass die Tiere eine signifikante Insulinresistenz entwickelten. Ebenfalls zeigten sich deutliche Anzeichen einer chronischen Darmentzündung und Darmschleimhautschäden mit einer erhöhten Durchlässigkeit. Die Darmentzündung wurde zum einen durch die von Polysorbat 80 erzeugte Schädigung der Schleimhaut hervorgerufen, zum anderen konnte nachgewiesen werden, dass ein verändertes Darmmikrobiom das Eindringen pathogener Bakterien in die geschädigte Darmschleimhaut unterstützte. Nach der vierwöchigen Aufnahme von Polysorbat 80 waren Bakterien der Gattung Bacteroides deutlich weniger vorhanden, wohingegen Bakterien Helicobacter und Campylobacter deutlich vermehrt auftraten. Die Zusammensetzung des Darmmikrobioms entsprach dem von adipösen Patienten mit Typ-2-Diabetes. So konnte auch bei dieser Untersuchung bestätigt werden, dass Polysorbat 80 zur Entwicklung einer chronischen Darmentzündung und Dysbiose des Darmmikrobioms beiträgt, was weitere Erkrankungen wie z. B. Diabetes mellitus zur Folge haben kann. (29,30)
Tierstudien an Ratten ergaben, dass ballaststoffarme Diäten während der Verabreichung hoher Mengen von Polysorbat 20 dazu führen, dass die Bürstensaummembran des Dünndarms beschädigt wird, wobei Durchfall, Wachstumsverzögerungen, eine herabgesetzte Sucrase-Isomaltase-Aktivität im Leerdarm, verringerte Gewichtszunahme und eine höhere Sterblichkeit hervorgerufen wurden. (487,489–491) Weitere Studien an Ratten förderten Blasen- und Nierensteine, die Vergrößerung von Nieren und Blinddarm, eine Hodenatrophie und eine stärkere Wasserkonsumption zutage. (492,493)
In einer Studie an Ratten konnte unter dem Einsatz von Polysorbat 60 – auch Polyoxyethylen(20)-Sorbitan-Monostearat, Tween 60 beziehungsweise E435 genannt – eine erhöhte Darmpermeabilität festgestellt werden, was die Wahrscheinlichkeit für die Absorption potenziell toxischer und pathogener Substanzen erhöht. (479)
Eine Studie an hyperlipidämischen Mäusen, welche nach vierwöchiger fettreicher Kost mit unterschiedlichen Polysorbaten, aber auch Statinen behandelt wurden, zeigte, dass neben Lovastatin, Colestyramin und Polysorbat 80 auch Polysorbat 20 und 40 das Gesamtcholesterin signifikant reduzieren konnten. Polysorbate scheinen die intestinale Cholesterinresorption zu verhindern. (494)
Auswirkungen auf grundlegende Zellfunktionen
In Studien an Zellen des Immunsystems konnte nachgewiesen werden, dass Polysorbat 80 in der Lage ist, einige Membranfunktionen erheblich zu stören und grundlegende Zellfunktionen deutlich zu beeinträchtigen. Es wurde festgestellt, dass Polysorbat 80 wichtige Ionentransporter und Funktionen der Zellmembran sowie den Gehalt an zellschützenden, antioxidativ wirkenden Zellsubstanzen beeinflusst. So wurde ein reduzierter Glutathiongehalt sowie ein erhöhter Calcium-Ionengehalt in den Zellen nach der Einwirkung von Polysorbat 80 nachgewiesen. Diese beiden Auswirkungen sind ein Kennzeichen vieler zytotoxischer Chemikalien. In den Zellstudien wurde aufgezeigt, dass der reduzierte Glutathiongehalt und der starke oxidative Stress auf die Einwirkung von Polysorbat 80 zurückzuführen sind. Nach der Behandlung mit Polysorbat 80 führte ein oxidativ wirkendes Mittel zu einer deutlichen Zunahme der Anfälligkeit der Immunzellen. Es traten vermehrt Funktionsstörungen bis hin zum Zelltod auf. Dies wiederum kann die Funktionsfähigkeit des Immunsystems stark negativ beeinträchtigen. (476,477) Aufgrund der genannten Studienergebnisse wird empfohlen, den Einsatz von Polysorbat 80 in Medikamenten zu reduzieren. Polysorbat 80 wird jedoch in vielen Arzneiformulierungen und Nahrungsergänzungen eingesetzt, um die Wirkung der Stoffe beziehungsweise deren Bioverfügbarkeit zu verstärken. Hierbei werden die nachgewiesenen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit nicht berücksichtigt.
Allergieähnliche Überempfindlichkeitsreaktionen
In mehreren Fallstudien wurde von schweren allergischen Überempfindlichkeitsreaktionen auf Polysorbat 80 enthaltende Medikamente berichtet. Es traten nach Einnahme Juckreiz, Rötungen, Urtikaria, Schluckbeschwerden und Schwellungen im Gesicht, Mundtrockenheit, Atemnot, Herzrasen bis hin zum anaphylaktischen Schock auf. Bei der anschließenden Untersuchung konnte gezeigt werden, dass der Emulgator Polysorbat 80 für diese Reaktionen verantwortlich war. (495,496)
Mehreren Versuchspersonen wurden verschiedene allergene Substanzen auf die Haut aufgebracht, darunter auch Polysorbat 80. Zudem wurde entnommenes Blut der Versuchspersonen den Allergenen ausgesetzt, um die Art der Immunantwort zu bestimmen. Die Tests ergaben, dass Polysorbat 80 für die Überempfindlichkeitsreaktionen ursächlich war, es sich jedoch nicht um eine antikörpervermittelte allergische Reaktion handelte. Diese Form der Reaktion wurde früher als Pseudoallergie bezeichnet. Problematisch anzusehen ist, dass vor allem hochallergische Personen nach der Aufnahme von Polysorbat-80-haltigen Präparaten sehr schwere allergieähnliche Überempfindlichkeitsreaktionen bis hin zu einem anaphylaktischen Schock erleiden können. Auch wird in den Fallstudien kritisch angemerkt, dass Polysorbat 80 in sehr vielen Medikamenten als Hilfsstoff enthalten ist. Oftmals werden auftretende Überempfindlichkeitsreaktionen nur auf die Medikamentenwirkstoffe bezogen und nicht auf die enthaltenen Hilfsstoffe. Die längerfristige Einnahme von Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln, die Polysorbat 80 enthalten, kann aufgrund einer vorliegenden Krankheitsgeschichte zu ständigen und undefinierbaren Entzündungsreaktionen im Körper führen, deren Ursache nur schwer zu bestimmen ist. (495,496) Es wird angemerkt, dass möglicherweise viele dieser Reaktionen auf Polysorbat 80 zurückgeführt werden könnten.
Erhöhte Aufnahme von Wirk- und Schadstoffen
Schwerlösliche hydrophobe Substanzen können durch Zugabe von Polysorbat 80 in Wasser löslich gemacht werden. Durch seine Fähigkeiten, die Darmschleimhaut durchlässig und fettlösliche Substanzen in Wasser löslich zu machen, wird deren Absorption im Körper erhöht. Es ist auch möglich, dass durch Polysorbat 80 eine Mizellenbildung von Membranlipiden hervorgerufen wird. Dies erhöht die Durchlässigkeit der Membranen für bestimmte Substanzen. (479) Diese Eigenschaft wird vor allem in Medikamenten, aber auch in Nahrungsergänzungsmitteln wie Coenzym Q10 genutzt, um die Aufnahme der Wirkstoffe zu verbessern. (478)
Coenzym Q10 ist an der Aufrechterhaltung vieler biochemischer Prozesse im Körper beteiligt. Ein Mangel führt zu Störungen in der zellulären Energiegewinnung, neurologischer Degeneration, erhöhtem oxidativen Stress und weiteren Fehlfunktionen. Es wird bei der Behandlung vieler Erkrankungen wie Krebs, Gedächtnisstörungen, chronischer Müdigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Störungen des Immunsystems eingesetzt. Q10 ist fettlöslich und nur schlecht wasserlöslich. Es wurde festgestellt, dass die Aufnahme von Q10 im Darm durch die Zugabe von Polysorbat 80 deutlich gesteigert werden konnte. Polysorbat 80 ermöglicht die Lösung von Q10 in Wasser und erleichtert so den Transport des Stoffes durch die Darmschleimhaut. (497) Auch bei vielen weiteren Wirkstoffen kann durch Polysorbat 80 eine erhöhte Aufnahme erzielt werden. Dies mag zunächst positiv erscheinen, geht jedoch mit der Störung der Darmschleimhaut, des Darmmikrobioms und weiteren negativen Gesundheitsauswirkungen einher.
Es konnte ebenfalls bestätigt werden, dass Polysorbat 80 als Lebensmittelzusatzstoff dazu führt, dass auch schädliche Stoffe verstärkt in den Körper aufgenommen werden. In einer Untersuchung konnte nachgewiesen werden, dass Polysorbat 80 die Aufnahme von Phthalaten deutlich erhöht. Phthalate sind nachweislich für mitochondriale Dysfunktionen verantwortlich, wirken reproduktions- und entwicklungstoxisch, verursachen Nierenentzündung und Schilddrüsenatrophie. Sie werden häufig als Weichmacher in Kunststoffverpackungen verwendet und migrieren erwiesenermaßen in die darin verpackten Produkte (siehe Kapitel 25). Viele Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel, die Polysorbat 80 enthalten und in phthalathaltigen Kunststoffverpackungen auf den Markt gelangen, stellen somit ein Risiko für die Gesundheit dar. Durch die erhöhte Löslichkeit der Phthalate und die gesteigerte Permeabilität der Darmschleimhaut werden die Phthalate vermehrt in den Körper aufgenommen und können dort ihr gesundheitsschädliches Potenzial entfalten. (498)
Überwindung der Blut-Hirn-Schranke
Polysorbat 80 wird als medizinischer Hilfsstoff sehr häufig eingesetzt, um Wirkstoffe besser durch Zellmembranen schleusen zu können. Durch seine Eigenschaften, die Membranfunktionen zu stören und die Durchlässigkeit von Zellen zu erhöhen, gelangen Wirkstoffe deutlich effektiver an ihre Wirkorte. Es liegen unzählige Studien über die Wirksamkeit von Polysorbat 80 als Transportverstärker vor. Jedoch ist Polysorbat 80 auch in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. (485) Diese stellt normalerweise eine natürliche Schutzbarriere vor toxischen Substanzen und Pathogenen dar. Zum einen kann zwar die Zugabe von Polysorbat 80 eine erhöhte Wirkstoffaufnahme ins Gehirn fördern, zum anderen besteht aber auch gleichermaßen die Gefahr, dass toxische Substanzen die Blut-Hirn-Schranke vermehrt überwinden. Die möglichen negativen Auswirkungen sind hier nicht absehbar, da es durchaus möglich ist, dass unerwünschte Substanzen unbemerkt die Blut-Hirn-Schranke passieren.
Für eine Übersicht der Emulgatoren in Nahrungs(ergänzungsmitteln) siehe Kapitel 19.