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22.2 Die häufigsten Nanomaterialien in Nahrungs(ergänzungs)mitteln

22.2.1 Titandioxid

Titandioxid (Titan(IV)oxid, TiO2) wird chemisch aus Ilmenit oder Rutil hergestellt und kommt weltweit in sehr großer Menge (mehrere Millionen Tonnen) vor. Titandioxid kam bislang für viele verschiedene Anwendungsbereiche in der Lebensmittel-, Pharma- und Kosmetikindustrie zum Einsatz. Der Stoff ist auch als Lebensmittelfarbstoff E171 bzw. CI77891 in Kosmetika und Zahnpasten bekannt und wurde lange Zeit als leuchtendes Pigment verwendet, um Zahnpasta, Süßigkeiten, Kosmetik, Kaffeeweißer, Backwaren, Saucen, aber auch Nahrungsergänzungsmitteln und Medikamenten in Tabletten-, Pulver- und Kapselform eine strahlend weiße Farbe zu verleihen und diese zu bewahren. Daneben wurde es auch zur Konsistenzoptimierung in Schokolade oder Eiscreme sowie in vielen Sonnencremes als UV-Filter eingesetzt.

Aufgrund anzunehmender ernster gesundheitlich schädlicher Wirkungen des Stoffes war das mittlerweile im Lebensmittelbereich verbotene Titandioxid nie Bestandteil unserer Produkte.

Unklarer Anteil an Nanopartikeln

Ein Problem bei der Einordnung und folglich Regulierung des Stoffes dreht sich vor allem um die Problematik, dass ein ungeklärter Anteil des Titandioxids aus Nanopartikeln besteht. Da gemäß Definitionsempfehlung der EU-Kommission ein Nanomaterial vorliegt, wenn mindestens 50 % der Partikel eines Materials kleiner als 100 nm sind, klassifizierte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) Titandioxid in einer Stellungnahme im Jahr 2016 nicht als Nanomaterial. Produktionsbedingt seien “nur” etwa 3 % der enthaltenen Teilchen kleiner als 100 nm, wobei dieser Anteil ein Ergebnis des Mahlprozesses und nicht absichtlich herbeigeführt sei. (5) Je nach Produkt ist die Menge an Nanopartikeln tatsächlich stark variierend und reicht von den genannten 3 % bis durchaus 40 %. (566,596,597) Betrachtet man dabei nicht die leicht irreführende Prozentzahl, sondern die Anzahl an Nanoteilchen, dann wird klar, dass es sich trotz geringem Anteil um ein ernsthaftes Problem handeln kann. Denn selbst kleinste Mengen enthalten extrem viele Nanopartikel – pro Femtogramm (0,000000000000001 Gramm) nämlich 10.000 bis 100.000 Nanopartikel. (6)

Spätes Verbot

Für die Verwendung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff war Titandioxid (E171) bislang in mehreren Lebensmittelkategorien zugelassen, wobei als Höchstmenge zumeist das Quantum-satis-Prinzip, welches keine dezidierte Höchstmenge definiert, galt. (575) Für Öko-Lebensmittel hingegen war E171 nicht erlaubt. (598)

In Frankreich ist Titandioxid bereits seit dem 1.1.2020 als Zusatzstoff für Lebensmittel grundsätzlich verboten. Die Französische Agentur für Lebensmittelsicherheit, Umwelt- und Arbeitsschutz (ANSES) kam zu dem Schluss, dass der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ausreichte, um die aufgekommenen Zweifel an der Unbedenklichkeit von Titandioxid auszuräumen. Vor allem sah die Behörde die These, dass Titandioxid-Nanopartikel krebserregend sein könnten, als nicht wirksam widerlegt an. Im Gegensatz zu Frankreich konnten sich andere Länder lange nicht zu einem Verbot durchringen und warteten weitere Studien zur Erhärtung der schädlichen Wirkungen des umstrittenen Stoffes ab. Nach jahrelangem Zögern soll der strittige Zusatzstoff nun EU-weit nicht mehr in Lebensmitteln, wozu auch Nahrungsergänzungsmittel zählen, verwendet werden. Am 8. Oktober 2021 stimmten die EU-Mitgliedstaaten einem entsprechenden Antrag der Europäischen Kommission zu. Seit Sommer 2022 ist der Einsatz von Titandioxid in Lebens- und Nahrungsergänzungsmitteln somit nicht mehr gestattet.

Allerdings: Auf Druck der Industrie und mit der Begründung, dass Titandioxid aufgrund seines weit verbreiteten Einsatzes nicht so schnell zu ersetzen sei, bleibt Titandioxid in Zahnpasta, Kosmetika und Medikamenten vorerst erlaubt. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA will ein Verbot dann erneut in 3 Jahren prüfen. (7) Es wird geschätzt, dass mehr als 30.000 Präparate in der EU und knapp 32 Prozent der in Deutschland zugelassenen „festen oralen Darreichungsformen“ wie Tabletten oder Kapseln Titandioxid enthalten. (8)

Gesundheitsrisiken

Aufgrund der unklaren Datenlage zögerten die Behörden lange Zeit, Titandioxid zu verbieten. Immer wieder war zu lesen, dass “die Studienlage zu Titandioxid vor allem bezogen auf die chronische Exposition und Langzeitfolgen sehr unzureichend sei”. (566) Dabei zeigen Studien an Tieren schon lange sehr gesundheitsschädliche Wirkungen – darunter Darmentzündungen, DNA-Schäden, Zellschäden bis hin zu Krebs (siehe unten). Nun urteilte auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA, es sei „auf der Grundlage der neuen Daten und weiterent­wickelten Methoden“ nicht auszuschließen, dass Titandioxid genotoxisch wirke. Das bedeutet, dass der Stoff das Erbgut schädigen könnte und eventuell die Entstehung von Krebs begünstigt. Hinzu kommen weitere Beobachtungen möglicher toxischer Wirkungen auf das Immun- und Nervensystem sowie Entzündungsreaktionen. (599)

Inzwischen ist auch erwiesen, dass die winzigen Nanopartikel, aus denen Titandioxid zumindest zum Teil besteht, körperliche Schutzbarrieren wie die Darmbarriere passieren können. Zwar sei die Aufnahme von Titandioxidpartikeln über den Magen-Darm-Trakt gering, der Stoff könne sich jedoch im Körper ansammeln, schreibt der Vorsitzende des EFSA-Sachverständigengremiums, Maged Younes, in einer Stellungnahme. (600,601)

Entzündungsfördernde Wirkung

Eine Studie der Universität Zürich von 2017 an menschlichen Zellen des Darmepithels und Makrophagen zeigte, dass die orale Einnahme von Titandioxid eine vorhandene Colitis verstärkte. Die Nanopartikel wurden von den Zellen sowie von den Makrophagen aufgenommen und lösten verstärkte Entzündungen aus. Im kombinierten Versuch an Mäusen wurde zudem eine Akkumulierung der Nanopartikel in der Milz nachgewiesen. Die Forscher schlossen aus dem Versuch, dass Titandioxid-Nanopartikel mindestens von Menschen mit einer gestörten Darmbarriere und mit bestehenden Entzündungen gemieden werden sollten. (602)

Eine lesenswerte Kritik an dieser Studie findet sich im Interview mit Prof. Dr. Harald Krug, der vor allem die oberflächenaktive Art des verwendeten Titandioxids und die benutzte große Menge kritisierte und damit die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Alltag bzw. die menschliche Ernährung anzweifelt. (578)

Einfluss auf das Immunsystem, Darmentzündungen und Krebs

Eine im Fachmagazin Scientific Reports veröffentlichte Studie des INRA hat dem Lebensmittelzusatz E171 schädliche Auswirkungen auf das Immunsystem zugesprochen, wobei er präkanzeröse Läsionen bei Ratten fördern soll. (33) Den Ratten wurde eine tägliche orale Dosis von 10 mg pro kg Körpergewicht verabreicht, die der menschlichen lebensmittelbedingten Exposition ähnlich ist. Die Forscher konnten beweisen, dass das Titandioxid die Darmbarriere durchbricht und die Nanopartikeln so ins Blut gelangen. Zudem wurde beobachtet, dass diese Substanz sich schädlich auf das Immunsystem auswirkt und Darmentzündungen hervorruft. Bei chronischer Aufnahme des Nahrungsergänzungsmittels, welche sich auf über 100 Tage belief, entwickelten 40 % der Tiere präneoplastische Läsionen (Tumore).

Veränderungen der Darmflora

Die Auswirkungen der Nanopartikel auf die menschliche Darmflora wurden bislang nur wenig untersucht. In einer Veröffentlichung der Universität von Sydney aus 2019 wurde nun eindrücklich die schädliche Wirkung der Titandioxid-Nanopartikel auf die Darmflora von Mäusen gezeigt. Zwar wurde die Zusammensetzung der Darmflora nur minimal beeinflusst, doch reichten die negativen Auswirkungen von Genveränderungen, Veränderungen des Stoffwechsels der Bakterien, Störung des gesunden Gleichgewichts, Störung des Immunsystems, Auslösung von Entzündungen bis hin zur Unterstützung der Bildung eines schadhaften Biofilms. Es ist davon auszugehen, dass diese Konsequenzen auch für die menschliche Darmflora gelten könnten. (603)

Förderung von oxidativem Stress und Genotoxizität

In einem vom ANSES verfassten Bericht von 2019 wird auf genotoxische Effekte Bezug genommen. Diese konnten sowohl in vitro (Carbon Nanotubes, Zinkoxid) und in vivo (Carbon Nanotubes, Titandioxid) gezeigt werden. (34) Demnach werden zwei unterschiedliche Mechanismen vermutet, wie Nanopartikeln zu Schäden am Erbgut führen: zum einen über direkte Interaktion mit der DNA und den Mitochondrien, zum anderen indirekt über Entzündungsprozesse bzw. oxidativen Stress und die Produktion freier Radikale. Da der Effekt jedoch nur unter sehr hohen Dosen einträte, werden Titandioxid-Nanopartikel von der ANSES als schwach genotoxisch eingeschätzt. Es existieren aber weitere Studien, die ebenfalls belegen, dass Zellen nach Kontakt mit Titandioxid vermehrt reaktive Sauerstoffspezies bilden bzw. die Substanz DNA-Schäden und Deletionen hervorrufen kann. (35,36)

Risiken für die Fortpflanzung

In ihrer Stellungnahme von 2016 bemängelte die EFSA selbst, dass nach wie vor Daten zu möglichen Effekten von Titandioxid in Lebensmitteln auf die Fortpflanzung fehlten. (5) Diese werden auch benötigt, um eine belastbare akzeptable Tagesdosis ermitteln zu können. Daher sollten von der Lebensmittelindustrie entsprechende Studien durchgeführt werden.

Umweltrisiken

Die Nanopartikel gelangen außerdem – insbesondere durch Sonnencremes – in die Umwelt und setzen unter UV-Einfluss Radikale frei, die für Wasserorganismen schädlich sein können. Titandioxid wird gezielt in Nanogröße für bestimmte Einsatzzwecke im Nicht-Lebensmittelbereich hergestellt, um eine verbesserte Verteilbarkeit und geringere Farbdeckung (Sonnencremes) sowie bessere UV-Brechungs- und -Absorptionseigenschaften zu erzielen. Zwar dringen die Nanopartikel nicht über die menschliche Haut ins Blut, sondern verbleiben vermutlich in den oberen Hautschichten, die genaue Wirkung auf die wichtigen Wasserorganismen in der Umwelt ist wissenschaftlich aber noch nicht geklärt und deshalb umstritten. (604)

Für eine Übersicht zu Nanomaterialien siehe Kapitel 22 sowie Kapitel 22.1 zu den möglichen Gesundheitsrisiken von Nanopartikeln.

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